Wir schrieben das Jahr 1972, die Olympischen Spiele in München nahmen gerade ihren Lauf und ich als aktiver Leistungssportler im Turnen war in meinen pubertären Phantasien unterwegs in die Sowjetunion, um mit Olga Korbut mein Leben auf den Turnmatten dieser Welt vorzubereiten. Leider wurde daraus nichts, weil unser Foto AG Lehrer uns mitteilte, dass wir Ende September die Photokina in Köln besuchen würden. Die weltgrößte Messe für Fotografie und die Tatsache, dass Köln näher als Moskau war, änderten meine Sichtweise und Olga wurde gedanklich erst mal auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Der erste Photokina-Besuch stand an und meine Foto AG Freunde und ich waren ziemlich nervös und wir freuten uns riesig aus dieses Ereignis.
Ein einschneidendes Erlebnis
Mit dem Zug ging es dann nach Köln und beim Betreten der ersten Messehalle wurden wir vom Eindruck erschlagen, Wir kannten zwar unsere Fotogeschäfte vor Ort und die waren wegen der hohen Bevölkerungsdichte im Ruhrgebiet auch damals schon sehr gut sortiert – in Köln jedoch konnte man einfach alles sehen. Kameras, Objektive, Lichtanlagen, Vergrößerungsgeräte, Entwicklerdosen, Filme und jeder erdenkliche Artikel der Branche über den wir in Fotozeitschriften gelesen hatten. Dazu gab es Prospekte, Prospekte und nochmals Prospekte. Zum Glück verteilten manche Aussteller auch große Taschen mit Werbeaufdrucken, die uns zum Sammeln der Druckwerke eine gute Hilfe waren. Wir rannten den ganzen Tag aber relativ orientierungslos auf dem gesamten Messegelände herum, da sich keiner von uns im Vorfeld mit Hallenplänen etc. auseinandergesetzt hatte. So ließen wir uns durch die Menschenmassen treiben und entdeckten so rein zufällig das eine oder andere Kleinod. Die großen Firmen wie Kodak, Canon, Nikon usw. hatten Stände, die jeweils den Großteil einer Halle einnahmen. Alles war so riesig.
Live-Übertrgung
Dann entdeckten wir das mobile Fernsehstudio des WDR. Der übertrug damals täglich an den neun Messetagen eine Stunde „Live von der Photokina“. Da wurden Fotografen interviewt, Hersteller mit ihren Produkten vorgestellt, Ausstellungen besprochen und es gab ein unterhaltendes Beiprogramm. So erfuhren wir dort, dass der Pocketfilm auf dieser Photokina erstmalig vorgestellt wurde und erhielten einen Hinweis auf die Fotoausstellung von Lord Snowdon. Die Messe gab es als Foto und Kino Ausstellung seit 1950 und 1951 erhielt sie den Namen Photokina. Seit 1966 fand sie dann im Zweijahresrhythmus statt.
Zeitsprung
Was ist von alledem geblieben? Vier Tage Messe, eine immer geringere Medienpräsenz, sinkende Ausstellerzahlen aber steigende Besucherzahlen. Was ist hier geschehen? Eine Messe bedeutet für einen Aussteller zunächst einmal, dass er Kosten in nicht unerheblicher Höhe zu bekleiden hat. Die Standgebühren sind bei einer derart prestigeträchtigen Messe extrem hoch. Anreise, Messestand, Personal, Catering etc. lassen die Kosten zusätzlich nach oben klettern. Viele regelmäßige Aussteller haben wahrscheinlich deshalb in diesem Jahr ihre Teilnahme an der Photokina ausgesetzt. Elinchrom, x-rite, Hensel und den Rheinwerk-Verlag werden Sie in diesem Jahr neben vielen anderen vergeblich auf der Photokina suchen. Es gibt immer weniger Aussteller aus Europa und Amerika und immer mehr aus Fernost. Der Killer des stationären Handels, das Internet, hat inzwischen auch auf den großen Messen seine Spuren hinterlassen. Ständige Kommunikation auf allen Ebenen ermöglicht das Handeln ohne persönliche Begegnungen in deutlich preiswerterer Form.
Die Kölnmesse sieht sich im Wandel der Messe gut aufgestellt und äußert sich z.B. zur verkürzten Laufzeit wie folgt: „Wir möchten so ein kompakteres und intensiveres Messeerlebnis für Aussteller und Besucher ermöglichen. Unsere Analysen haben gezeigt, dass die Besucher auch bei vier Messetagen genügend Zeit haben, sich alle ausstellenden Unternehmen anzusehen.“ Ich habe in allen Jahren, in denen ich die Photokina seit 1972 besucht habe, immer alle mir wichtigen Kontakte an einem Tag abarbeiten können. Sollte die Messe dann nicht mit maximal zwei Tagen auskommen? Liebe Kölnmesse, die Argumentation hinkt.
Zur Erweiterung der Messe auf andere Branchen und Geschäftsfelder teilt die Kölnmesse mit: „Unlimited (but only) Imaging, ist unsere Devise: Auf der photokina finden Sie die gesamte Palette der Imaging-Welt für den Profi-Anwender bis zum absoluten Einsteiger. Kühlschränke, Waschmaschinen und derlei Geräte bleiben weiterhin draußen – es sei denn, der Kühlschrank stellt per Bilderkennung fest, dass Sie einkaufen müssen.“ Wenn ich ein derartiges Zitat lese, fällt mir immer ein sehr prägnantes Zitat der jüngeren Geschichte ein: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Und der Smart-Kühlschrank ist ja schon avisiert.
Trotzdem
Gehen Sie hin! Die Photokina ist immer ein Erlebnis. Nehmen Sie sich Zeit für die Dinge, die Sie für Ihr eigenes Schaffen benötigen. Lassen Sie sich aber ebenso Zeit, sich auf Unvorhergesehenes einzulassen. Auch beim diesjährigen Messebesuch bietet das Internet einen großen Vorteil. Das Sammeln von Prospekten ist heutzutage bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr nötig.
Epilog
Nach dem Besuch auf der Photokina 1972 hatten zwei Brüder aus unserem Turnverein sturmfreie Bude. Die Eltern waren auf einem verlängerten Wochenendtrip und so wurde am Samstag eine Party angesetzt. Ich lud Ulla aus der Mädchenturngruppe unseres Turnvereins ein, und nachdem auf der Party „Cry Baby“ von Janis Joplin dafür sorgte, dass ich als Heimkehrer gut versorgt wurde, habe ich erst mal eine lange Zeit nicht mehr an Olga gedacht. An Ulla und die Photokina vergangener Tage denke ich noch sehr oft.