Eigentlich passen diese beiden Elemente nicht zusammen. Entweder lassen wir uns von einer Bildaussage ansprechen oder wir lesen. Aus diesem Grund wird Schrift in einem Foto unterschiedlich wahrgenommen. Sie kann dominant oder als Beiwerk existieren und dabei ergänzend, überflüssig, störend oder irritierend sein. Ich stelle Ihnen hier ein paar Beispiele mit Schrift in einem Foto vor, in denen diese unterschiedlich wirkt.
Im obigen Beitragsfoto könnte auf die Schrift verzichtet werden. Dann wäre es die nackte Abbildung eines Mauerwerks. Durch die aufgebrachte Schrift ändert sich aber die Betrachtung des Fotos. Die Schrift macht neugierig und löst einen Denkprozess aus, denn die beiden Elemente Bild und Schrift haben eine Verbindung. Das Wort Rittersaal deutet auf eine längst vergangene Epoche hin und das Mauerwerk ist offensichtlich so alt, dass es tatsächlich eine Wand eines ehemaligen Rittersaals sein könnte. Und genauso verhält es sich. Das Foto entstand in einer Burgruine und stellt die Situation vor Ort dar. Die Schrift wurde also nicht nachträglich per Bildbearbeitung zugefügt. Diese Ausgangssituation trifft auch auf alle folgenden Beispiele zu.
Der Weinkeller
Ein Weinkeller im Rheingau zeigt klar und deutlich die Marke des Erzeugers. Hier ist die Schrift ein wichtiger Hinweis zur Identifikation und mit Stolz wurden die Fässer beschriftet, die das Ergebnis der Winzerkunst beinhalten. Ein Schriftzug mit rustikaler Anmutung als Symbol für eine alte Handwerkskunst. Die Romantisierung wird durch die Lichtgebung, die warmen Töne und die aufgestellten Kerzen perfekt.
Den Weinliebhaber möchte ich sehen, der bei diesem Anblick nicht die Lust verspürt unverzüglich an einer Weinprobe in diesem Keller teilzunehmen. Man spürt eine leichte Kellerfeuchte, riecht eine Mischung aus Wein und Holz und spätestens nach der dritten Probe findet eine künftig untrennbare Symbiose in Kraft, die dieses schöne Erlebnis mit dem Namen auf den Fässern verbindet. Da könnte sogar der klassische Biertrinker in Versuchung geführt werden.
Minimalkunst
Auf einem Bürgersteig in London in der Nähe der Royal Albert Hall entstand das folgende Foto Mitte der achtziger Jahre. Hier ist die Schrift Bestandteil der Streetart, deren Begrifflichkeit damals noch keine große Verbreitung hatte, da sich nur wenige Künstler damit beschäftigten.
Die Zeichnung und die Typografie bilden eine Einheit und stehen für ein Lebensgefühl der jungen Generation dieser Zeit. Hier ist das Foto eine reine Reproduktion der Arbeit des Künstlers.
Kontraproduktivität und Irritation
Das folgende Foto zeigt den ländlichen Straßenverkauf, wie man ihn aus der Mittelmeerregion kennt. Landwirte, Gärtner und Obstbauern stellen Ihre Waren zum Verkauf an den Straßenrand. Es gibt keinen Verkäufer und man vertraut darauf, dass der Kunde für die Waren, die er mitnimmt, das Geld in Höhe der ausgezeichneten Preise hinterlässt.
Leider ist diese frühe Ausarbeitung des Fotos nicht so ausgefallen, dass das Preisschild gut zu lesen ist. Der Mensch, so er denn lesen kann, will aber die Schrift identifizieren. Leider kann er die Betrachtung des Fotos durch diese Undeutlichkeit nicht vollständig zum Abschluss bringen oder er geht näher ran, versucht zu entziffern, rätselt – und schon ist der Bildeindruck zerstört. Das Gleiche gilt für Schriftfragmente in Fotografien, die beim Betrachter den Wunsch erwecken, vollständig gelesen zu werden. Wenn dann eine Unzufriedenheit zurückbleibt, hat das Foto seinen Zweck nicht erfüllt. Schrift in einem Foto ist immer mit Vorsicht zu genießen und kann auch schon mal zum unbeabsichtigten Eyecatcher werden.