Wasser – eines der wichtigsten Elemente auf unserem Planeten – fasziniert uns immer wieder. Besonders wenn wir Durst haben, bringen wir ihm größte Aufmerksamkeit entgegen. Aber auch sein Anblick zu anderen Gelegenheiten bewegt uns: Ob durch brachiale Kraft haushoher Wellen, durch das ständige Kommen und Gehen von Wellen am Strand, durch Regen, der alles unter sich benetzt, durch das Spiel der Tropfen oder durch das ruhige Fließen in einem Bach- oder Flussbett – Wasser bewegt uns, besonders, wenn es sich bewegt.
Das weiche Wasser höhlt den Stein
Wir wissen, dass Wasser, wenn wir ihm genug Raum zum Entkommen bereitstellen, unbeschadetes Eintauchen mittels eines Kopfsprungs ermöglicht, wenn wir ihm aber mit einem flächigen Aufprall begegnen, dies sehr schmerzhaft enden kann. Jenes Wasser, welches wir uns aus einem Wasserhahn in die Hände schießen lassen, um uns damit zu waschen und das uns keinen Schmerz zuführt, wenn wir es uns ins Gesicht schleudern, verdient deshalb eine adäquate fotografische Darstellung. Wenn es denn in Bewegung gezeigt werden soll, kommen wir an einer Langzeitbelichtung nicht vorbei.
Geschwindigkeit und Richtung
Die Dauer einer Langzeitbelichtung legt fest, wieviel Bewegung eines sich bewegenden Motivs in einer Fotografie abgebildet wird. Dabei sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Da ist zunächst die Geschwindigkeit, mit der sich das Motiv bewegt. Je schneller die Bewegung, desto stärker ist der Wischeffekt. Etwas unterschätzt wird meistens die Bewegungsrichtung. Wenn ein Motiv sich parallel zur Sensorebene vor der Kamera bewegt, wird dies deutlicher als bei einer Bewegung, die im rechten Winkel zur Sensorebene ausgeführt wird. Anders formuliert bedeutet das, dass der Wischeffekt eines Fahrrads, welches von links nach rechts durchs Bild fährt, stärker ist als bei einem bei gleicher Geschwindigkeit fahrenden Fahrrad, das sich direkt auf die Kamera zubewegt. Diese beide Faktoren und die Stärke des gewünschten Wischeffekts bilden also die Grundlage zur Festlegung der Kameraeinstellungen.
Der Filter macht’s möglich
Wenn Sie nicht gerade Formel 1 Fahrzeuge bei höchster Geschwindigkeit parallel zur Sensorebene fotografieren wollen, kommen Sie schnell an die Grenzen einer ordentlichen Belichtung. D.h., dass Sie selbst bei weit abgeblendetem Objektiv und niedriger ISO-Zahl nicht auf eine ausreichend lange Belichtungszeit kommen. Ein ND-Filter, dessen neudeutscher Name auch wieder ein Werk der Amerikanismen liebenden Marketingszene ist, hieß früher Graufilter. Das ND steht für neutral density, könnte aber auch für neutrale Dichte stehen und spart somit Druckkosten für deutsche Umverpackungen.
Diese Graufilter gibt es in zwei Ausführungen. Entweder haben sie eine durch neutrale Einfärbung des Filterglases festgelegte Stärke, die in der Regel in Blendenstufen, manchmal aber auch mit einem Filterfaktor angegeben werden. Bei den Blendenstufen ist es einfach, Sie öffnen bei Gebrauch des Filters die Blende um die angegebenen Stufen. Ist ein Filterfaktor angeben, entspricht die jeweilige Verdoppelung des Faktors eine weitere Blende. Faktor 2 bedeutet eine Blendenstufe, Faktor 4 steht für zwei Blendenstufen und Faktor 6 für 2,5 Blendenstufen, da ja erst bei Faktor 8 die dritte Blendenstufen erreicht wäre.
Die zweite Ausführung wird durch einen variablen Graufilter repräsentiert. Hier werden wie bei einem Polfilter zwei Filtergläser gegeneinander verdreht und lassen so immer weiniger oder mehr Licht durch. Gerade über diese Filter finden Sie die wahnsinnigsten Tests im Netz. Schärfe, Farbneutralität und Geisterbilder sind die Schlagworte. Wenn Sie nicht allerhöchste Ansprüche stellen, fallen die ersten beiden Schlagworte schon weg, da die Farbneutralität bei einer Raw-Aufnahme ohne Probleme im Konverter wieder hergestellt werden kann. Jede Glas-Luft-Schicht vor dem Objektiv mindert die Abbildungsleistung. Mit einem variablen Graufilter verdoppeln Sie also das Problem gegenüber einem Graufilter mit vorgegebener Dichte. Das Problem kennen Sie vom Sperrfilter vor Ihrem Sensor. Jedes Raw bedarf einer Grundschärfung. Die erhöhen Sie einfach ein wenig und gleichen damit die Unschärfe des variablen Graufilters wieder aus. Es handelt sich ja nicht um Bewegungsunschärfe oder durch Unschärfe durch falsche Fokussierung. Somit bleiben nur noch die Geisterbilder übrig, die allerdings bei den meisten variablen Graufiltern erst in der dunkelsten Stellung auftreten.
So wird’s gemacht
Voraussetzung für eine ordentliche Langzeitbelichtung ist ein stabiles Stativ. Die Kamera sollte mit einem Draht-, Funk-, Fern- oder mit dem Selbstauslöser bedient werden. Auch eine Spiegelvorauslösung sollte, sofern an der Kamera einstellbar, benutzt werden. Falls Sie ein Objektiv mit Stabilisator verwenden, so sollten Sie diesen bei jeglicher Stativnutzung abschalten.
Um den exakten Verlängerungsfaktor des Filters herauszufinden, messen Sie durch den Filter mit einem Belichtungsmesser oder mit der Kamera auf eine formatfüllende, gleichmäßig ausgeleuchtete Graukarte. Ein Vergleich mit dem Wert, der sich ohne Filter ergibt, zeigt ihnen die Differenz an. Sollten Sie ohne Belichtungsmesser arbeiten, achten Sie darauf, dass sich in beiden Aufnahmen die massiven Ausschläge im Histogramm in der Mitte befinden. Beim variablen Filter können Sie sich so exakte Markierungen für jede Blendenstufe anbringen.
Bei der Anfertigung der endgültigen Aufnahme stellen Sie zuerst Bildausschnitt und Fokussierung ein. Dann messen Sie die Belichtung für die Aufnahme ohne Filter, bringen dann den Filter an, stellen die Korrekturwerte an der Kamera ein und belichten. Fertig!
Bei allem vorher Gesagten, können Sie sich vorstellen, dass ich den variablen Graufilter vorziehe, da er mir darüber hinaus auch noch die Freiheit gibt, mich für unterschiedliche Belichtungszeiten zu entscheiden. Außerdem empfehle ich einen hohen Filterfaktor, denn bei Aufnahmen bei normalem Tageslicht benötigen Sie für Aufnahmen, wie sie im Beitragsfoto gezeigt werden, schon eine starke Lichtminderung. Die normale Messung für die obige Aufnahme ergab bei ISO 100 eine Zeit von 1/2 Sek bei Blende 16. Um auf eine Zeit von 8 Sekunden bei Blende 16 zu kommen musste ich den variablen Graufilter auf eine Korrektur von 4 Blenden stellen.
Der von mir verwendete Filter hat ca. 35 € gekostet und beschneidet das Licht um knapp acht Blenden von denen wegen der Geisterbilder nur 7 Blenden wirklich genutzt werden können. Für meine Anforderungen hat dies bisher gereicht.