Fotografie zeichnet unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten das auf, was der Fotograf aufzeichnen möchte. In einem Foto bildet sich die Sichtweise des Fotografen ab. Da Fotografie dadurch kein reines Abbild der Realität darstellt, lassen die Spielräume des Fotografen Bilder entstehen, die eine eigene Sprache entwickeln. Je weiter sich der Fotograf von der Realität entfernt, desto mehr erweitert er den Wortschatz und damit die Möglichkeiten seiner Bildsprache. Ein großer Sprachumfang oder sogar der Einsatz fremder Sprachen führen somit zu vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten bei unterschiedlichen Betrachtern, da diese, je nach Sozialisation, Bildung Erfahrungen oder jeweiligem Gemütszustand, eine andere Rezeption entwickeln können.
Jeder sieht, was er sehen will
Für das obige Foto möchte ich hier drei unterschiedliche Menschen mit ihren Betrachtungsweisen zu Wort kommen lassen. Person A sagt: „Was ist das denn für ein unscharfer Schrott!“ Person B sagt: „Diese Tasse vermittelt das Gefühl einer zu kurzen Nacht.“ Person C meint: „Wenn ich entspannt in meiner Freizeit einen Tee trinke und glücklich bin, dann habe ich ein ähnlich schwebendes Gefühl, wie es von diesem Foto vermittelt wird.“
Als ich das Foto gemacht habe, war meine Intention aber eine ganz andere. Im Zusammenhang mit den drei Betrachtungsweisen oben spielt dies aber keine Rolle. Entscheidend ist die Tatsache, dass das Foto bei unterschiedlichen Menschen verschiedene Reaktionen hervorruft. Darüber hinaus gibt es noch die Möglichkeiten, dass sich die Reaktion bei der Betrachtung in unterschiedlichen Gemütslagen ändert oder sie sich manifestiert. Das heißt, dass das Foto entweder immer wieder anders gesehen wird oder immer wieder die gleiche Reaktion beim Betrachter hervorruft.
Das Foto entsteht durch den Fotografen
Wie wir alle wissen, gibt es Fotografien, die bei enorm vielen Menschen in Erinnerung bleiben, weil sie etwas mit den Bildinhalten anfangen können. Werbung z.B. versucht immer wieder, solche Fotos zu konstruieren, um uns in vorbestimmte Richtungen zu lenken. Das gelingt nicht immer, da es sehr schwierig ist, so etwas zu konstruieren. Es kommt der Vorstellung gleich, man könne einen Hit planmäßig komponieren. Erstaunlicherweise gibt es aber Fotografen und auch Musiker, denen es häufig gelungen ist, Menschen mit ihren Arbeiten zu berühren. Diese Künstler haben eine Ausdrucksform in ihrer Sichtweise gefunden, die viele Betrachter anspricht.
Sich mit seinem Sujet intensiv auseinanderzusetzen, auf die innere Stimme zu hören und sich nicht von Klischees eingrenzen zu lassen lässt die eigenen Ansprüche in einem Foto entstehen. Wenn es dann noch anderen gefällt – umso besser!